Vergleichstest Mittelklasse-Bikes
Underdogs
Sie
protzen weder mit Hubraum noch mit Leistung, verzichten auf
rennmäßiges Outfit und Kriegsbemalung. Cagiva Raptor
650ie, Ducati Monster 695 und Suzuki SV 650 sind ganz
»normale« Motorräder geblieben. Doch wehe,
wenn sie losgelassen!
Von Norbert Kappes
Aus
MOTORRAD 14/2006 Seite 34
Vorfreude
ist bekanntlich die schönste Freude. Bereits zwischen
Geisingen im Westen und Sigmaringen im Osten ist die B 311
weitläufig gesteckt. Schwungvolle, lang ge-
zogene Kurven wechseln mit sprintfreudigen, kurzen Geraden und sorgen
für die perfekte Einstimmung auf die noch bevorstehende, mit
Kurven nur so gespickte Strecke. Angenehm sonores Grollen einer kleinen
Gruppe Motorräder erfüllt das
Donautal, bricht sich an den schroffen Kalksteinwänden, um
alsbald von dichtem Grün geschluckt zu werden. Eine klangvolle
Beigabe, wie sie weder dumpf bollernde Einzylinder noch nervös
surrende Vierzylinder zu erzeugen vermögen. Das schaffen nur
Zweizylinder, allesamt in V-Konfiguration, versteht sich.
Flink geht es voran, griffig präsentiert sich das schlanke
Asphaltband, und mit
jeder Biegung steigen die Erwartungen, wächst das Verlangen
nach dem unendlichen Kurvenlabyrinth, das der Naturpark Obere Donau
bereit hält.
Ducati Monster 695, Cagiva Raptor 650 und Suzuki SV 650, die eher
unauffällig durch die Landschaft spuren, scheinen wie
geschaffen für dieses naturbelassene Terrain. Unverholen
tragen sie ihre Motoren zur Schau, verstecken ihre Technik nicht hinter
aerodynamisch geformten Verkleidungen, recken ihre einfachen
Rundscheinwerfer trotzig in den Wind. Wer richtig schnell fahren will,
muss sich halt klein machen, aber nicht hier. Zu winkelig die Kurven,
zu kurz die Geraden, einfach ungeeignet zum Heizen die
Streckenführung. Da sind andere Eigenschaften gefragt:
geringes Gewicht, Handlichkeit, unkomplizierte Handhabung, sichere
Beherrschbarkeit und Motoren, deren Potenzial auch tatsächlich
nutzbar ist.
Um den Anschluss an die Konkurrenz nicht zu verlieren, hat Ducati seine
kleinste Monster hubraummäßig ordentlich
aufgepäppelt. Zu kraftlos erschien die 620 i.e. in der
Vergangenheit, um gegen diese Gegner noch einmal anzutreten. Wobei die
620er nach wie vor im Programm bleibt. Mehr Hub und
größere Bohrung blasen den luftgekühlten
Zweiventil-Motor, der in seinen Grundfesten von der Pantah 500
abstammt, von zuletzt 618 auf 696 cm3 auf. Satte 72 statt bisher gerade
mal 63 PS soll er nun leisten, 61 statt 56 Nm auf die Kurbelwelle
wuchten und eine fülligere Leistungskurve sowie einen
günstigeren Drehmomentverlauf aufweisen.
Selbstverständlich erfüllt er mit geregeltem
Kataysator die strenge Euro-3-Abgasnorm.Der Rest der 695er-Monster
präsentiert sich wie gehabt. Der bildschöne
Gitterrohrrahmen nimmt den optisch ansprechenden V-Zweizylinder auf,
eine nicht einstellbare Upside-down-Gabel führt das
17-Zoll-Vorderrad, und am Heck absorbiert ein in Zugstufe und
Federbasis verstellbares Zentralfederbein samt Umlenkhebelei
Schläge und Bodenunebenheiten. Zwei Scheibenbremsen im
Vorderrad halten die 189 Kilogramm wiegende Monster 695 unter
Kontrolle. Sie ist die Leichteste im Testfeld.
Monstermäßig sieht die Ducati allerdings nun
wirklich nicht aus. Ihre fein geschwungenen Formen sind Balsam
für die Augen. Klassische, analoge Rund-instrumente
fügen sich nahtlos in das homogene Gesamtbild.
Ganz anders die Cagiva Raptor 650, sie hält nichts von glatten
Flächen und runden Formen, sondern setzt auf Kanten und
Sicken, zeigt hier und da futuristische Merkmale. Die flache, spitz
zulaufende Instrumentenverkleidung macht auf bösen Blick. Wie
die Monster verfügt auch die 198 Kilogramm schwere Raptor
über eine Upside-down-Gabel und einen Gitterrohrrahmen. Der
Motor, bei Suzuki zugekauft, ist prinzipiell der Gleiche wie in der SV
650, nur verzichtet die Raptor auf den U-Kat und hält die
Abgase lediglich mit Sekundärluftsystem in Euro-2-Grenzen.
Dafür stellt sie jedem Zylinder einen eigenen Auspuff zur
Verfügung, will so 75 PS zu Wege bringen.
Suzukis SV 650 besitzt bereits seit ihrem Erscheinen 1999 einen der
besten Motorradmotoren in ihrer Kategorie und belässt es
weiterhin bei nominell 72 PS. Kein anderes Triebwerk dieser Klasse
bisher hatte einen derart fülligen Drehmomentverlauf,
schüttelt seine Leistung so mühelos leicht und locker
aus dem Ärmel. Doch steht bei der SV 650 noch die Umstellung
auf Euro 3 an. Ein neuer Motor soll 2007 kommen. Neben
Sekundärluftsystem verfügt sie zur Einhaltung der
Euro-2-Norm über einen U-Kat und entlässt die Abgase
rechtsseitig über einen ofenrohrgroßen
Endschalldämpfer ins Freie.
Fahrwerksseitig setzt die 194 Kilogramm leichte Maschine auf einen
teuren, schwarz lackierten Aluminium-Brückenrahmen und ein
angeschraubtes Rahmenheck, eine Doppelscheibenbremse und eine Telegabel
mit einstellbarer Federbasis. Steil ragt die Heckpartie empor, zwei
Einzelsitze für Fahrer und Sozius unterstreichen die
Geradlinigkeit der SV 650.
Aber jetzt heißt es erst einmal Blinker setzen und abbiegen.
Fünf Kilometer lindwurmartiges Geschlängel liegen vor
uns, fünf Kilometer rasante Kurvenfahrt. Beschleunigen,
bremsen, einlenken, abwinkeln, gefühlvoll ans Gas, wieder
aufrichten. Zigmal in Folge. Schwerstarbeit, wenn man nicht das
richtige Gerät hat. Für die drei dagegen ein
Kinderspiel. Tief sitzend spannt sich der Fahrer in aktiver Haltung
über den Tank der Ducati, verlagert sein Gewicht weit nach
vorn. Der breite, leicht nach außen gekröpfte Lenker
ist etwas gewöhnungsbedürftig, spreizt die Arme des
Fahrers vom Körper weg. Das ist auf Dauer zwar etwas unbequem,
hat indes auch positive Seiten. Über den Lenker hat man die
Monster fest im Griff und gut unter Kontrolle. Lenkimpulse und
Schräglagenwechsel gehen fast schon spielerisch von der Hand.
Manchmal etwas zu leicht, denn in engen kurven wirkt die Monster
kipplig und nervös.
Der straffen, ehrlichen Federungsabstimmung liegen weiche, weite Radien
besser, konstanter Zug am Hinterrad vorausgesetzt. Dann
verwöhnt die Duc mit
einem sauberen Strich, sofern keine derben Verwerfungen im Asphalt
lauern. Darauf reagiert die Monster mit ihrer etwas stuckrigen Gabel
mit nervösen Zuckungen, die jedoch keineswegs zu
Lenkerschlagen führen. Zudem setzt in welligen, forsch
gefahrenen Linkskurven der Seitenständer der
Schräglagenfreiheit unnötig früh Grenzen.
Bei der Cagiva hingegen setzt nichts auf.
Die PIRELLI Diablo, auf denen die Monster ebenfalls rollt, verführen
zu rasantem Fahrstil. Kein Problem für die Raptor. Denn
bei ihr passt alles wie angegossen: Sitz-höhe,
Kniewinkel, leicht sportlich nach vorn geneigte Körperhaltung,
Lenkerkröpfung. Hier fühlt man sich auf Anhieb wohl.
Das sportlich straff abgestimmte Fahrwerk vermittelt ein sehr direktes
Fahrgefühl. Ob topfebene Strecke oder löchriger
Flickenteppich, mit stoischer Ruhe folgt die Raptor dem einmal
eingeschlagenen Kurs, präzise und punktgenau. Ohne
spürbaren Kraftaufwand lässt sie sich in
Kurveneinlenken, wechselt behände von einer
Schräglage in die andere, stabil und sicher.
Da benimmt sich die Suzuki schon deutlich anders. Ihr Fahrwerk ist mehr
auf Komfort bedacht, die SV 650 will ihre aufrechter sitzenden
Passagiere bequem durch die Landschaft tragen. Zu zweit bietet sie
nicht nur das größte Platzangebot, sondern ihr
Zentralfederbein kommt auch unter hoher Beladung am besten zurecht.
Allerdings ist die Telegabel deutlich zu weich abgestimmt, und so kann
die Suzuki ihren Kontrahentinnen bei flotter Gangart nur mit einem in
sich rührenden Fahrwerk folgen.
Im krassen Gegensatz zur Ducati fällt der Lenker der Suzuki
ausgesprochen schmal aus. Mit ein Grund, weshalb sich die SV 650
längst nicht so easy durch Kurvenkombinationen jonglieren
lässt und beim Einlenken mehr Kraftaufwand erfordert. Dennoch
bewegt sie sich in Sachen Handlichkeit auf dem Niveau der Raptor. Und
obwohl die Gabel so weich abgestimmt ist und feinfühlig
über Holperstrecken schwebt, besitzt sie bei harten
Bremsmanövern genügend Reserven und geht nicht auf
Block.
Schlechte Bremsen sind in dieser Klasse erfreulicherweise schon lange
kein Thema mehr. SV und Monster verwenden
Doppelkolben-Schwimmsättel, um die Scheibenbremsen vorn
gehörig in die Zange zu nehmen. Wobei die Suzuki-Stopper etwas
stumpfer wirken als die Pendantsin der Ducati. Lediglich bei
der Raptor sind Vierkolben-Festsättel im Einsatz. Sie sorgen
für mehr Transparenz und bessere Verzögerung bei
geringer Handkraft.
Fingerübungen sind dagegen Thema der Ducati. Als Einzige
besitzt sie eine hydraulisch zu betätigende Kupplung, die
trotzdem nicht einfach zu bedienen
ist. Mangelnde Dosierbarkeit erfordert reichlich
Fingerspitzengefühl, und allzu energisches Anfahren wird mit
einem charakteristischen Rupfen bestraft. Überhaupt hackt der
Motor unter 3000/min ganz ordentlich auf die Kette. Ab dem mittleren
Drehzahlbereich zeigt er sich dann von seiner sanften, angenehmen
Seite. Tadellos hängt der Zweiventiler am Gas,
ermöglicht sorgloses Aufziehen bereits ab Kurvenscheitelpunkt.
Diese Situation meistert das Suzuki-Triebwerk weder in der SV noch in
der Raptor zur vollen Zufriedenheit. Auf abruptes Gasgeben jenseits von
6000 Umdrehungen reagieren die beiden ziemlich schroff und neigen bei
weit niedrigeren Drehzahlen zu spürbarem Lastwechselschlag.
Trotzdem kann der Ducati-Twin nach Kurvenausgängen seinen
beiden Mitstreitern schwerlich folgen, weil ihm schlicht Power fehlt.
Der Grund dafür ist nicht allein die geringere Spitzenleistung
(66 PS an der Kupplung bescheinigt die Prüfstandsmessung der
Monster, bei der SV sind es 76 und die Raptor bringt es gar
auf 78 PS), sondern auch die lange
Gesamtübersetzung. Die lässt die Ducati aus den
Tiefen des Drehzahlkellers, wo die beiden anderen bereits forsch an der
Kette ziehen, träge erscheinen. Wie lang die Ducati
übersetzt ist, verdeutlicht das Thema
Höchstgeschwindigkeit. Die angegebenen 185 km/h erreicht sie
bereits im fünften Gang, allerdings zu einem Zeitpunkt an dem
sie Cagiva und Suzuki längst aus den Augen verloren hat.
Viel spritziger und dynamischer wirken eben Raptor und SV. Flugs
beschleunigen sie aus allen Ecken heraus, kommen schnell auf Touren. Im
mittleren Drehzahlbereich wirkt die Raptor gar noch ein
Quäntchen druckvoller als die SV 650.
Bei beiden sind die gut abgestuften, leicht und präzise
schaltbaren Sechsgang-Getriebe hilfreich, während sich die
Ducati-Schaltbox wegen ihrer längeren Schaltwege als etwas
sperrig erweist. Zudem werden bei ihr schnelle Gangwechsel des
Öfteren mit Zwischenleerläufen bestraft.
Etwas Gutes hat die lange Gesamtübersetzung der Monster
gleichwohl. Bummeln mit niedrigem Drehzahlniveau spart ordentlich
Kraftstoff. Bei moderatem Landstraßentempo injiziert die
Einspritz-anlage den beiden Zylindern gerade mal
4,7 Liter Superbenzin auf hundert Kilometer. Und auch die SV 650 liegt
mit
exakt fünf Litern Normal auf respektablem Niveau, was ihr in
Verbindung mit einem 17 Liter fassenden Stahlblechtank die
größte Reichweite von 340 Kilometer beschert. Nur
die Raptor setzt sich mit 5,4 Litern ein wenig vom
Sparkurs ab.
Dass sie in diesem Vergleichstest ganz knapp als
Sieger vor der Suzuki hervorgeht, mag überraschen,
ist letztlich aber das Ergebnis konsequenter Feinarbeit und der Wahl
der richtigen Komponenten. Die Cagiva Raptor glänzt
durch ein hervorragend abgestimmtes Fahrwerk und mit dem besten Motor
dieser Klasse, eben dem der SV. Wäre ihre Zuladung
mit gerade mal 172 Kilogramm nicht so bescheiden, hätte sie
die SV 650 deutlicher distanziert. Doch auch so gilt: Suzukis
Preisreduzierung für die SV 650 Ende letzten Jahres konnte die
entscheidende Wende nicht mehr herbeiführen.
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